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Kapitel 44 - keine Hexe

  “Sie wissen es nicht, oder? Deine eigenen Ritter wissen nicht, dass du eine Hexe bist”, beendet der Elf lachend seinen Monolog als h?tte er gerade einen exquisiten Witz vorgetragen.

  “Ich bin keine Hexe”, murmelt Rhiscea, w?hrend das Blut in ihren Adern langsam wieder zu kochen beginnt.

  “Schon ironisch, nicht wahr?”, quasselt der Elf weiter, doch sie h?rt ihm schon garnicht mehr zu. Die Beschuldigung hat etwas Winziges in ihrem Unterbewusstsein zum rollen gebracht und dieses Etwas l?sst sich nicht mehr aufhalten.

  “Ich bin keine Hexe.”

  Ihr Murmeln ist jetzt etwas lauter aber neben der anf?nglichen Wut, schwebt jetzt auch noch eine kleine Prise Furcht in ihrer Stimme mit.

  “Die m?chtigste Fürstin im ganzen Reich mit all ihren Rittern und ihrem Gefolge. Aber eigentlich steht sie ganz alleine da. Und das alles nur…”

  Seine Worte treffen sie nicht, sie streifen sie kaum, denn ihre Gedanken sind noch immer dabei, sich vor einem unsichtbaren Ankl?ger zu verteidigen.

  “Ich bin keine Hexe!”

  Ihre Stimme ist jetzt laut genug, dass auch der Elf überrascht verstummt, doch das zischende Flüstern in ihrem Kopf wird nicht leiser.

  “Ich. Bin. Keine. Hexe!”, brüllt sie noch einmal und diesmal wird es für einen Moment vollkommen Still. Ruhe kehrt ein, sowohl zwischen die W?nde des Verlie?es als auch in ihrem Inneren. Bis diese Ruhe erneut von einer Stimme durchbrochen wird.

  “Magst du es etwa nicht, Hexe genannt zu werden? Aber das bist du doch, oder? Eine Hexe.”

  Sie versucht nicht einmal, sich dieses Mal unter Kontrolle zu halten. Ihre Tritte hallen wie Schl?ge durch den Korridor und werden immer lauter, bis die direkt vor der Zelle des Gefangenen stehen bleibt.

  “Sei still”, zischt sie, den Elfen mit ihrem Blick fixierend.

  Dieser ist vor überraschung einige Schritte zurückgewichen. Einen so pl?tzlichen Ausbruch hatte er wohl nicht erwartet. Doch der Schrecken h?lt nicht lange, denn kaum einen Moment sp?ter scheint er seinen Mut wiedergefunden zu haben. Mit einem herausfordernden L?cheln auf den Lippen kommt er ihr n?her, bis er direkt vor ihr steht.

  Dann flüstert er: “He-xe”

  “Schweig!”, f?hrt ihn die Fürstin an und im ersten Augenblich zuckt er erneut fast zusammen, doch diesmal nur noch aus Reflex und augenblicklich breitet sich auf seinem Gesicht wieder ein freches Grinsen aus.

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  “He-xe, He-xe”, singt er weiter, als w?re das Wort ein Mantra, gar ein Zauberspruch. Und das ist es vielleicht auch. Zumindest auf Rhiscea wirkt es so.

  “Hexe, Hexe, Hexe, …”

  Die Worte verschwimmen in ihrem Kopf zu einem Singsang aus Anklagen, einem Chor von tausend Stimmen.

  Nein, nein… sie ist keine Hexe. Sie ist keine Hexe!

  Doch die Worte klingen unachgiebig weiter.

  “Hexe! Hexe!”

  Und sie werden agressiver. Wie eine Dorf voller Menschen mit Mistgabeln und Fackeln dringen sie auf Rhea ein und sie beginnt vor ihnen zurückzuweichen.

  Rauch steigt unter ihren Fü?en auf, scheint sich an ihr emporzuschl?ngeln, ihr in Mund, Nase und Augen zu dringen. Der Geschmack von verbrannten Haaren breitet sich in ihrem Mund aus und stechender Qualm füllt ihre Lungen, nimmt ihr die Luft zum atmen und treibt ihr Tr?nen in die Augen.

  Doch egal wie schnell und weit sie nach hinten stolpert, die Stimmen kommen immer n?her.

  “Hexe, Hexe, Hexe! Verbrennt sie, die Hexe!”

  Und pl?tzlich kann sie nicht mehr ausweichen. Kalter Stein versperrt ihr den Fluchtweg.

  Für einen Moment fühlt sich die Wand in ihren Rücken an, wie eine h?lzerne Stange. Lebloses Holz, das aus der Mitte eines Scheiterhaufens ragt. Unter ihren Fü?en nur trockenes Ge?st, das langsam von den Flammen übernommen wird. Ein kleiner Kreis, der immer enger wird.

  Nein, das ist alles nur Einbildung. Die Ausgeburt ihrer eigenen Fantasie, Bilder aus lang vergessenen Erinnerungen an die Oberfl?che gezerrt und beflügelt durch den Alkohol in ihrem K?rper. Es ist alles nicht real.

  Und dann ist da kein Feuer mehr, keine wütenden Dorfbewohner, kein Scheiterhaufen. Nur noch die K?lte des Verlie?es und die harte Wand hinter ihr.

  Erst jetzt bemerkt sie ihren rasenden Puls und die nasse Spur, welche eine einzelen Tr?ne an ihrer Wange hinterlassen hat. Verdammt, sie hatte das alles doch schon vor Jahren vergessen. Wieso kommt es wieder, wieso jetzt?

  Sie hebt den Blick von den steinernen Kacheln des Fu?bodens und blickt der Antwort auf ihre Frage in die Augen.

  Er ist schuld.

  Der provozierende Ausdruck des Elfen ist mittlerweile aus seinem Gesicht verschwunden und er blickt beinahe verwirrt drein. Doch das mindert in keinem Ma?e die Wut, die Rheas Panik und Verzweilung ersetzt.

  Er wagt es, an den F?den ihres Geistes zu ziehen, sie in ihre grausamstem Erinnerungen zurück zu zerren. An Orte und zwischen Menschen, an die sie bereits so lange nicht mehr denken musste.

  Das schlimmste aber ist, dass er es kann. Dass sie es zugelassen hat und dass es ihm so leicht fiel, sie mit nur einem Wort zurück in die Vergangenheit zu schleudern.

  Sie nimmt den Schlüssel von ihrem Gürtel ab.

  Er spielt mit ihr, wie ein Kind mit einer Strohpuppe.

  Mit vor Wut und Schreck zitternden H?nden versucht sie, das Schloss aufzusperren.

  Und sie hat es zugelassen, hat ihm in ihren Geist Eintritt gew?hrt.

  Das Schlüsselloch wackelt vor ihren Augen, lehnt sich zuerst auf die eine Seite und wenn sie den Schlüssel endlich meint hineinzubekommen, pl?tzlich auf die Andere.

  Nie wieder.

  Erneut schabt der Schlüssel gegen das Metall und die Frustration darüber heizt nur noch weiter ihre Wut an.

  Nie wieder wird sie zulassen, dass jemand so einfach in ihren Erinnerungen herumtrampeln kann.

  Erst beim dritten Anlauf trifft sie endlich und ein befriedigendes Klacken ert?nt, als der Riegel im Mechanismus der Tür nachgibt.

  Sie wird sicherstellen, dass er nie mehr auch nur daran denken wagt, sie zurück in ihre H?lle zu ziehen.

  N?chstes Kapitel: 18.03. “Wenn sich das Blatt wendet”

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